Ich bin bekloppt ... und ich bin nicht der Einzige: Mein Weg aus der Psychokrise (German Edition) by Schlenz Kester

Ich bin bekloppt ... und ich bin nicht der Einzige: Mein Weg aus der Psychokrise (German Edition) by Schlenz Kester

Autor:Schlenz, Kester [Schlenz, Kester]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Mosaik
veröffentlicht: 2020-08-23T16:00:00+00:00


Absturz

Es begann in einer meiner Therapiesitzungen mit Frau Dietrich. Immer wieder kreisten unsere Gespräche ja um meine Krankheitsängste, und sie fand, dass es nun an der Zeit sei, dem Tiger mal direkt ins Gesicht zu sehen. Sie gab mir ein medizinisches Lexikon. Für mich eine textliche Vorhölle. Da stand alles drin, vor dem ich mich fürchtete. Sie hatte einige Kapitel mit Zetteln markiert, die ich durchlesen sollte. Ich wusste: Die Lektüre würde dazu führen, dass ich beinahe alles, was dort stand, auf mich beziehen würde. Symptome, Warnzeichen, Diagnosen. Der Horror.

Ich nahm das Buch, setzte mich mit Herzklopfen daran und begann zu lesen.

Es war der nackte Horror. Krebs, AIDS, Entzündungen – eine Ansammlung von Bedrohungen. Siechtum, Schmerzen, Elend – jeden Tag musste ich mich damit auseinandersetzen. Ich schlief schlecht, aber ich hielt durch. Ich wollte es aushalten. Denn noch war alles, was ich las, irgendwie abstrakt. Es war eine Ansammlung von Möglichkeiten. Ich konnte mir immer sagen: Ja, das gibt es. Aber dieses Risiko haben doch alle.

Eines Tages las ich dann etwas, das mich völlig aus der Bahn warf. Ich will Sie, liebe Leserinnen und Leser, nun hier nicht mit medizinischen Themen langweilen und nerven. Und es wird mir trotz aller Ehrlichkeit, die ich hier an den Tag lege, in dieser Frage langsam auch etwas zu persönlich. Nur so viel sei gesagt: Ich stieß auf eine ernsthafte Krankheit, für die ich familienbedingt ein erhöhtes Risiko hatte. Ich hatte das nicht gewusst. Es traf mich wie ein Schlag. Ein ungeheurer Angstschub durchfuhr mich. Ich begann zu weinen. Mein Körper vibrierte. Es fühlte sich an, als ob mein Kopf platzen würde. Meine Ängste hatten einen konkreten Haken in der Realität gefunden. Da hatte ich es: schwarz auf weiß! »Das hätte nie passieren dürfen«, schrie es in mir! Nun gab es nichts anderes mehr. Nur noch die Angst!

Ich schlief in dieser Nacht keine Minute, warf mich hin und her, stand auf, ging zum medizinischen Dienst und bat um ein Beruhigungsmittel. Als sie dort merkten, wie schlecht es mir ging, gaben sie mir ein paar Tropfen in einem kleinen Becher. Das würde mich beruhigen. Es klappte mehr schlecht als recht, doch irgendwann im Morgengrauen fiel ich in einen kurzen, unruhigen Schlaf, um bald darauf wieder hochzuschrecken.

Am Vormittag des nun folgenden Tages bat ich Frau Dietrich um einen Extratermin. Sie rief mich in meinem Zimmer zurück, und ich schilderte ihr, wie schlecht es mir ging. Sie zögerte kurz und bot mir dann an, sie in einer Stunde für ein kurzes Gespräch aufzusuchen. Ob ich es denn so lange noch aushalten könne. Ich sagte ja und wartete. Weinend, verzweifelt. Zwischendurch rief ich Gesa an und schilderte ihr unter Tränen, was geschehen war. Sie versuchte, mich zu beruhigen. Was ihr nicht gelang. Für Außenstehende ist das Maß meiner Verzweiflung sicher kaum nachvollziehbar. »Normale« Menschen würden denken: »Mist, da gibt es ein erhöhtes Risiko. Wie gehe ich damit um? Was kann ich tun? Welche Art der Vorsorge? Und wo muss ich einfach akzeptieren, dass die Dinge so sind, wie sie sind?« Für einen Angstkranken wie mich sah die Sache viel dramatischer aus.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.